«Im Iran passiert gerade etwas Einzigartiges»

Erschienen in DAS MAGAZIN,  12. November 2022.

Seit 26 Jahren darf die iranische Filmemacherin und Künstlerin Shirin Neshat nicht mehr in ihr Geburtsland reisen. Sie glaubt daran, dass der Umsturz gelingen wird.

Der Stoff ist rot wie blut. Darauf das Gesicht von Mahsa Amini, deren Tod im Iran die heftigsten Proteste seit 1979 ausgelöst hat. Iranische Künstler:innen haben die roten Stoffbahnen im Guggenheim Museum in New York entrollt und Shirin Neshat, international gefeierte Künstlerin und Regisseurin, hat ein Video der Aktion gepostet.

Es ist einer von vielen Posts zum Iran. Gerade reist sie durch Europa, um ihren neuen Kinofilm zu bewerben. Aber sie tut sich schwer damit. Mit dem Kopf ist sie im Iran. Rund um die Uhr. Was dort passiert, ist für sie radikal persönlich.

Geboren und aufgewachsen in einer iranischen Kleinstadt, wurde Neshat mit siebzehn von ihren Eltern nach Los Angeles geschickt. Das war Mitte der Siebzigerjahre, kurz darauf kam es zur Revolution. Der Schah wurde vertrieben, die Islamische Republik gegründet. Wegen der Unruhen konnte sie viele Jahre nicht nach Hause.

Sie studierte Kunst und zog nach New York, wo ihr Mitte der Neunziger der künstlerische Durchbruch gelang: Mit der Fotoserie «Women of Allah», Schwarz-Weiss-Porträts von Frauen, deren sichtbare Hautstellen mit persischer Lyrik bedeckt sind, wurde sie weltberühmt. Die iranische Regierung verbot ihr die Einreise, seither lebt sie im Exil.

Sie experimentierte mit verschiedenen Kunstformen und dreht heute hauptsächlich Kinofilme. Als bisher einzige Person wurde sie sowohl mit einem goldenen Löwen an der Kunstbiennale als auch mit einem silbernen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig geehrt.

Wir sitzen in einem Hotelzimmer in Zürich, vergangene Nacht hat sie nur zwei Stunden geschlafen, trotzdem wirkt sie fokussiert und will reden.

Seit 1996 dürfen Sie nicht mehr in den Iran reisen, wo Sie Ihre Kindheit verbracht haben. Wonach sehnen Sie sich am meisten?

Mein Vater war Arzt und hatte gleichzeitig einen grossen Bauernhof. Wir waren fünf Kinder. Und ich glaube, am meisten vermisse ich den Frühlingsanfang, wenn die Pfirsich- und Apfelbäume blühen. Es war wie im Paradies. Vor kurzem hat mir jemand eine Postkarte aus dem Iran geschickt, mit einem blühenden Baum drauf. Ich bin in Tränen ausgebrochen, die Erinnerung war so stark.

Woran erinnern Sie sich noch?

Der tägliche Heimweg mit meinen Freundinnen von der Schule. Morgens aufzuwachen und den Toast und den Tee zu riechen, den meine Mutter für mich zubereitete. Leider ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich das je wieder erleben werde, so klein, dass es mich traurig macht. Selbst wenn die Türen irgendwann wieder offen sind, glaube ich nicht, dass diese Verbindung zu meiner Kindheit noch da wäre. Das Land hat sich sehr verändert.

Leben Ihre Eltern noch?

Meine Mutter lebt noch, sie ist dreiundneunzig.

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